Achtsamkeitstraining für Kinder – was bringt das (fürs Lernen)?

Katharina Looks

Einfach mal durchatmen
© Annie Spratt

Die positive Wirkung von Achtsamkeit und Meditation haben viele Erwachsenen schon für sich entdeckt. Aber auch Kindern hilft Achtsamkeitstraining (nicht nur) in der Schule und beim Lernen. Neugierig, wie genau? Das lesen Sie hier.

Kinder haben schon im Grundschulalter einige Dinge zu schultern: Schule, Hausaufgaben, Lernen, das Miteinander mit den Mitschülern, Freizeit am Nachmittag. Als Eltern wissen wir: Das ist nicht immer einfach und kann schon einmal zu Wutanfällen, Lernblockaden oder Hausaufgabenstress führen. Es ist aber auch schwer, denn Kinder sind in der Grundschule schon so weit entwickelt, dass sie Dinge ganz bewusst wahrnehmen. Entsprechend viel müssen sie verarbeiten. Ruhig zu bleiben, sich zu entspannen und sich in der Schule zu konzentrieren, wenn doch in der Pause Max aus der Nebenklasse etwas wirklich Doofes gesagt hat, ist sehr schwierig. Auch für Erwachsene. Das „Grübelkarusell“ fliegt schnell in Lichtgeschwindigkeit. Achtsamkeitstraining kann Kindern (und Eltern) dabei helfen, mehr bei sich selbst zu bleiben, konzentriert zu arbeiten und offen, ohne Blockaden, Lösungen für schwierige Aufgaben zu finden. Kurz: Neugierig zu lernen, Aufgaben offen zu lösen, Neues entdecken.

Wie genau das aussehen kann beleuchtet der Film „Dass stille Leuchten – Die Wiedereroberung der Gegenwart“, der am 27.09.2018 in Deutschland in die Kinos kommt. Er zeigt die Magie von Achtsamkeitstraining mit Kindern in vielen verschiedenen Facetten und ist wirklich empfehlenswert. Im Interview mit scoyo erklärt Anja Krug-Metzinger, Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin des Filmes, warum Achtsamkeitstraining mit Kindern so wirkungsvoll ist, ab wann Kinder damit beginnen können und was es Kindern genau bringt.

Achtsamkeitstraining für Kinder – was es bringt, ab wann es möglich ist und was Eltern beachten können

Achtsamkeitstraining für Kinder? Der französische Fußballverband setzt Meditationsübungen erfolgreich in der Jugendarbeit ein.
© Anja Krug-Metzinger Filmproduktion Gmbh

Frau Krug-Metzinger, Sie sind Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin des Filmes „Das stille Leuchten – Die Wiedereroberung der Gegenwart“ – wie sind Sie auf die Idee des Films gekommen?

Ich beschäftige mich selbst sehr viel mit dem Thema, meditiere und, bin mit einem Bewusstseinsphilosophen verheiratet, Thomas Metzinger. Er hat sich schon vor längerer Zeit dafür eingesetzt, dass säkulärer Meditationsunterricht an Schulen kommt. Dadurch habe ich mitbekommen, dass diese Bewegung immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Außerdem haben mich Statistiken zu Schulkindern erschreckt: Jedes 5. Kind leidet in einer Form an Schulstress – Übelkeit, Kopfschmerzen, bis hin zu Depression. Soziale Medien führen paradoxerweise zu Einsamkeitserfahrungen und Depressivität. Gleichzeitig zeigen viele Studien, dass Achtsamkeitspraxis gegen Angst, Stress und Depressionen hilft. Sie reduziert Stress, lässt uns mehr zu uns selbst finden. Deshalb bin ich immer weiter in das Thema reingegangen, habe recherchiert und tolle Projekte besucht. Wie Vera Kaltwasser, eine Pionierin im Frankfurter Raum, die sich mit ihrer Initiative AISCHU sehr stark macht dafür, dass die Achtsamkeitspraxis ihren Weg ins schulische Curriculum findet. Mit dem Film möchte ich anhand konkreter Beispiele zeigen, dass an einigen zunftsweisenden Bildungsinstitutionen zum Teil bereits erfolgreich mit der Idee der Achtsamkeitspraxis gearbeitet wird. Kurz: Wie sehr Kinder, die Gesellschaft, davon profitieren kann.

War es schwer für den Film Einrichtungen in Deutschland zu finden, die die Achtsamkeitspraxis in ihrer Arbeit mit Kindern verankert haben?

Es gibt mehr als man denkt, das hat mich selbst überrascht. Und was ich sehr beeindruckend finde: Die Bewegung kommt von unten. Die Bildungspolitik schläft noch immer bei dem Thema. Es sind vor allem Lehrer, Eltern, Erzieher, die sich dafür einsetzen, um Achtsamkeit mit Kindern in die Mitte der Bevölkerung zu tragen. Zum Beispiel die Elisabethenschule hier in Frankfurt, die schon 2004 Achtsamkeits“unterricht“ gefördert hat. Die Schulleitung hat das in die Hand genommen, die Lehrer abgeholt und gefördert. Unsere Gesellschaft ist weiter als die bildungspolitischen Institutionen.

Auffällig ist nämlich, wie schnell es sich verbreitet. Oft kommen die Erwachsenen damit in Berührung, merken, wie gut es ihnen tut und wollen das an Kinder weitergeben. Und Kinder lassen sich mit Begeisterung darauf ein. Sie merken, dass es um sie selbst geht, in einer sehr reinen Form. Und keine Maßnahme ist, die sie ruhigstellen soll, oder so.

Man sagt über Kinder eigentlich meistens, dass sie genau die Gabe des „im Moments leben“ noch besitzen, Erwachsene sind oft neidisch darauf. Ab wann geht diese Gabe verloren?

Durch Achtsamkeitstraining lernen Kinder auf sich selbst zu hören, ihre Gefühle zu beobachten.
© Anja Krug-Metzinger Filmproduktion Gmbh

Es ist ja so, die Fähigkeit im Moment zu leben geht einher mit großer Kreativität. Weil viel Freiraum da ist für alles, was auf uns zukommt. Und wir Dinge ohne Vorurteile auf uns wirken lassen und verarbeiten. Mit Eintritt in die Schule geht das leider nach und nach verloren. Kinder werden im Schulsystem einfach in Kontexte hineingepresst, die das im Moment leben, die Kreativität unterdrückt.

Ab wann ist Achtsamkeitstraining mit Kindern möglich (und sinnvoll)?

Da gehen die Meinungen ein bisschen auseinander. Manche sagen, dass man am besten schon mit Babys anfangen sollte. Was ich beobachten konnte: ab dem Kitaalter (3 Jahre) ist das Heranführen an eine Achtsamkeitspraxis auf jeden Fall möglich. Dahinter steckt ja die Hoffnung, dass die Gabe von Kindern erhalten wird, Dingen offen und neugierig zu begegnen. Ohne Vorurteile, ohne Schubladendenken und mit ganz viel Entdeckerwillen.

Schwierig wird es, in der Pubertät mit der Achtsamkeitspraxis anzufangen. Heranwachsende sind in dieser Phase sowieso so sehr mit ihrem Körper beschäftigt, Achtsamkeit wäre da ein Ticken zu viel.

Außerdem gibt es einen ganz kleinen Anteil an Kindern, für die Achtsamkeitstraining nicht gut geeignet ist, wie Kinder, die bestimmte Angststörungen haben oder schwerste traumatische Erlebnisse hatten. 

Fällt Kindern meditieren nicht sehr schwer? Kinder haben so viel Energie, wollen herumtoben und nur ungern stillsitzen.

Ganz im Gegenteil. Projekte, wie das „Happy Panda Projekt“, zeigen, dass Kinder fast schon wild darauf sind, sich selbst zu erforschen, die Ruhe im Raum, im Körper wahrzunehmen. Sich selbst zu spüren. Mädchen mehr als Jungen, Jungs ist es, soweit ich beobachten konnte, etwas unangenehmer über Gefühle zu sprechen. Aber eigentlich ist das auch von Kind zu Kind unterschiedlich. Und die Achtsamkeitspraxis mit Kindern ist kein klassisches Stillsitzen, sondern wirklich das Erforschen der eigenen Wahrnehmung, der eigenen Gefühle und wie sie im Körper verankert sind. Das löst totale Begeisterung bei Kindern aus, denn sie sind eigentlich geborene Forscher, Wissenschaftler, haben richtig Lust, alles zu entdecken. Deshalb ist das ja auch eine willkommene Ergänzung zum klassischen Unterricht, der überwiegend frontal stattfindet. Wenig Raum für eigenes Erkunden lässt. Dabei ist Meditation und Achtsamkeit sehr nah an dem, was wir Wissenschaft nennen. Wissenschaftler müssen offen und neugierig für das Lösen von Problemen sein.

Was bringt (Kindern) Achtsamkeitstraining?

Kinder bekommen nachweislich einen besseren Zugang zu sich selbst, dadurch bemerken sie was ihnen guttut und was ihnen schadet. Manipulation hat es dadurch auf allen Ebenen schwerer (wie Mobbing, Kampf um Anerkennung und Likes, …). Durch Achtsamkeit und Meditation lernen wir außerdem, Dinge vorbeiziehen zu lassen. Ohne zu urteilen, ohne zu bewerten. Wir lernen, wahrzunehmen. Was gerade vor sich geht. Und wir lernen alle, dass uns Gefühle nicht beherrschen müssen. Leider gibt es viel zu häufig Mobbing oder Depressionen schon bei Kindern. Ist es da nicht wohltuend, wenn Kinder lernen, dass Gefühle und Gedanken nicht die Wirklichkeit sind, sondern vor allem Alarmsignale, um uns auf etwas hinzuweisen. Dadurch erlangt jeder eine sehr große Freiheit, eine Offenheit für Dinge. Ich vergrabe mich nicht in Problemen und negativen Sichtweisen, bekomme den Kopf frei und kann mit mehr Distanz Probleme lösen, Projekte anpacken. Ganz einfach, Kinder lernen mit sich selbst umzugehen. Was den Alltag ungemein einfacher macht. Nur wenn ich eine gute Beziehung zu mir selbst habe, kann ich wirklich gut in Kontakt mit anderen treten.

Achtsamkeitstraining in der Elisabethenschule in Frankfurt: Kinder lernen sich selbst kennen, werden weniger anfällig für Manipulation.
© Anja Krug-Metzinger Filmproduktion Gmbh

Gewaltfreie Kommunikation (kurz: GfK) in Familien ist auch ein wichtiges Thema, das im Film angesprochen wird: Welche Tipps haben Sie für Eltern?

Erst einmal sollte sich keiner von dem Begriff in die Irre leiten lassen. Gewaltfreie Kommunikation klingt fast so, als bräuchten das nur Familien, in denen Gewalt angewendet wird. Aber jeder profitiert von gewaltfreier Kommunikation. Ich finde den Begriff „Wertschätzende Kommunikation“ sowieso viel besser. Häufig spricht man auch von der „Giraffensprache“ im Gegenteil zur „Wolfsprache“. Die Giraffe hat das größte Herz von allen Tieren. In Kombination mit ihrem langen Hals hat sie ganz automatisch viel Übersicht und Empathie für Lebewesen . Die Giraffe sieht Fehler als Chancen, die uns begleiten auf dem Weg der Entwicklung. Die Giraffe hat generell eine positivere Weltsicht. Sie glaubt an die Menschen und ihre gute Absicht, unterscheidet nicht zwischen „richtig“ und „falsch“.

Damit ist die Giraffensprache, oder GfK, die konkreteste Art, Achtsamkeit täglich zu Leben. Es ist sozusagen Achtsamkeit in action 🙂 Und trägt dazu bei, ein gutes Miteinander zu finden. Es geht dabei darum, dass alle lernen, Gefühle zu artikulieren, dem anderen zuzuhören, gemeinsam nach einer Lösung zu finden. Das ist gelebte Demokratie!

Was wünschen Sie sich, mit dem Film zu bewegen?

Gesamtgesellschaftlich gesehen sehe ich es so: in Achtsamkeit liegt eine Lösung, Heilung für unsere Gesellschaft. Wenn wir schon bei Kindern und Jugendliche eine Stärke kultivieren können, die sie dazu befähigt, neugierig und vorurteilsfrei durchs Leben zu gehen, dann haben wir einen der wichtigsten Grundsteine gelegt. Ich glaube, dass der Knackpunkt für einen gesellschaftlichen Wandel, in uns allen selber liegt. Wenn jeder an sich arbeitet, können wir leichter gesamtgesellschaftlich Dinge bewegen. Wir haben den besten Therapeuten in uns selber, wir müssen nur lernen, auf ihn zu hören. Mein Tipp an alle Eltern: Mit Kindern selber ausprobieren, dranbleiben und die Magie spüren. Wichtig dabei ist, ohne Druck heranzugehen, ohne Ziel. Dann passieren diese kleinen Wunder.

 

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Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.