Niemand hat die Absicht, Schulmaterial zu kaufen. Oder: Flieht, ihr Narren, so lange ihr noch könnt!

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Momentaufnahme im Kaufhaus: Mit dem bloßen Auge sind die hektisch flitzenden Eltern auf dem Weg zum Schreibwarenladen kaum zu erkennen

Neues Schuljahr, neue Schulsachen! Warum Sie diese besser Jahre im Voraus einkaufen, eine Lagerhalle mieten und in Geo-Dreiecke investieren sollten, erklärt Ihnen Christian Hanne. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Eine Kolumne von Christian Hanne, Blog Familienbetrieb.

In den ersten Bundesländern sind die Sommerferien vorbei und das neue Schuljahr hat begonnen. Während Ihre Kinder trauern, werden Sie als Eltern aufatmen, nach sechs langen Wochen die Kinder nicht mehr täglich und rund um die Uhr bespaßen zu müssen. Ihre Erleichterung wird aber schnell Ernüchterung weichen, wenn Ihre Kinder am ersten Schultag die Liste mit dem zu besorgenden Schulbedarf anschleppen. Wobei ‘Liste’ eine unangemessen verniedlichende Wortwahl ist, denn vom Umfang her ist sie vergleichbar mit einem Stephen-King-Roman. Und genauso gruselig ist sie auch.

Auf dieser Liste stehen je nach Alter der Kinder Dinge, wie Hefte und Blöcke (liniert und kariert), Schnellhefter, Hausaufgabenhefte, Buntstifte, diverse Bleistifte mit unterschiedlich harten Mienen, Radiergummis, Bleistiftspitzer (mit Hülle), Lineale in unterschiedlichen Größen und Formen, Wachsmalkreide, Wasserfarben, Rund- und Borstenpinsel, Malblöcke (groß und klein), Sammelmappen für Kunstbilder, Scheren, Klebestifte, Knete, Turnbeutel, Sportklamotten und Sportschuhe, Brotdosen, Trinkflaschen, Regenhauben für den Ranzen, ein Schweizer Taschenmesser (ohne Messer), eine Heckenschere (ohne Hecke), ein Shetland-Pony, eine Flugabwehrrakete (mit Munition) und vieles mehr.

Wie Sie es schaffen, all diese Sachen zu besorgen, ohne dem Wahnsinn zu verfallen, können Sie im Folgenden lesen.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Beginnen Sie lieber rechtzeitig mit Ihrem Einkauf, sonst sieht Ihr Schreibwarenhandel ähnlich aus
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Als Michail Gorbatschow diese Worte an Erich Honecker richtete, sprach er sicherlich davon, wie immens wichtig es ist, die Schulmaterialien rechtzeitig zu kaufen. Nur unwissende Erstklässler-Eltern ziehen im August und September los, um Hefte, Blöcke und den ganzen Rest zu organisieren. So kurz vor dem neuen Schuljahr sind die Schreibwarengeschäfte im gesamten Bundesgebiet aber bereits leergeräumt, als seien marodierende Horden enthemmter Bildungsbürger hindurchgefegt.

Sollten Sie dem Verkaufspersonal erklären, sie würden gerne ein Lineal oder einen Radiergummi erwerben, ernten Sie allenfalls ein müdes Lächeln und man wird Sie für einen weltfremden Sonderling halten, der fernab der menschlichen Zivilisation von Wölfen großgezogen wurde. Wahrscheinlich stehen Sie ohnehin vor verschlossenen Türen und treffen niemanden an. Da Schreibwarenhändler in den vier Wochen vor dem neuen Schuljahr 98,4 Prozent ihres Jahresumsatzes erzielen, begeben sie sich anschließend auf eine mehrmonatige Luxus-Kreuzfahrt in der Karibik.

Damit Sie für die nächsten Jahre gewappnet sind, müssen Sie sich an folgenden Zeitplan halten: Im Oktober kaufen Sie die Utensilien für das Schuljahr 2018/19, im November für 2019/20, im Dezember für 2020/21, bis Sie im nächsten Juli die Sachen für das Schuljahr 2027/28 besorgen. Dann haben Sie für die nächsten zehn Jahre Ihre Ruhe und mit etwas Glück verlassen Ihre Kinder nach der mittleren Reife die Schule und Sie müssen sich nie wieder um den Kauf von Schulmaterialien scheren.

Wolle Lineal kaufe?

Damit Sie kurzfristig doch noch an Hefte und Stifte für Ihre Kinder gelangen, gibt es nur einen Ausweg: den Schulmaterialien-Schwarzmarkt. An Orten, wo normalerweise die Zigarettenmafia oder Kleindealer ihre Waren feilbieten, bauen gegen Ende der Sommerferien fliegende Händler ihre Stände auf und verkaufen alles, was auf der Schulmaterialienliste steht.

Zugegebenermaßen handelt es sich dabei nicht immer um hochwertige Originalprodukte, sondern um billige Plagiate, die in Asien massenproduziert werden. Der Pelikan auf dem gleichnamigen Füller sieht dann eher aus wie ein abgeschossenes Angry-Bird-Huhn, die Faber-Castell-Buntstifte decken ausschließlich die Farbtöne staubgrau, mausgrau und aschgrau ab und das 30-Zentimeter-Lineal ist lediglich 27 Zentimeter lang. Ihnen wird aber nichts anderes übrigbleiben, als diese Ramschware trotzdem zu kaufen. Einerseits sind Schulmaterialien-Schwarzhändler nicht an einem gewaltfreien Diskurs über die Qualität ihrer Produkte interessiert, anderseits wollen Sie Ihre Kinder nicht heft- und lineallos zur Schule schicken.

Selbstverständlich ist der Schulmaterialien-Schwarzmarkt höchst illegal und dem Staat entgehen dadurch jährlich Mehrwertsteuereinnahmen in Milliardenhöhe. Strafrechtliche Konsequenzen müssen Sie dennoch nicht befürchten, da auch Polizisten, Finanzbeamtinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Politiker Kinder haben und irgendwo Schulmaterialien besorgen müssen.

Doppelt hält länger, reicht aber trotzdem nicht

Wollen Sie über das ganze Schuljahr mit ausreichend Schulmaterial versorgt sein? Legen Sie besser einen Vorrat an
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Das größte Problem an den Schulmaterialien ist aber nicht, ihrer habhaft zu werden. Es ist ihre geringe Halbwertszeit. Wenn sich Ihre Kinder in Sachen Ordnungssinn, Zuverlässigkeit und Sorgfalt auch nur halbwegs innerhalb der Gaußschen Normalverteilung bewegen, werden sie ihre Schulsachen schneller verlieren als Anthony Scaramucci seinen Job als Kommunikationsdirektor im Weißen Haus. Spätestens im Oktober kommen Ihre Kinder nach Hause und beschweren sich, sie hätten keine Patronen mehr, ihr Füller sei verschwunden und das Geodreieck nicht mehr auffindbar. Kurzum: Der Großteil der gerade erst angeschafften Utensilien ist nicht mehr in ihrem Besitz.

Geben Sie sich gar nicht erst die Mühe, sämtliche Sachen mit den Namen Ihrer Kinder zu beschriften, denn diese werden trotzdem unwiderruflich im Bermuda-Dreieck der Schulmaterialien verschwinden. (Grundschuleltern sei an dieser Stelle gesagt: Nein, das wird nicht besser, wenn die Kinder größer sind.) Erst wenn Sie irgendwann mal umziehen, werden Sie hinter irgendeinem Regal im Kinderzimmer unzählige Hefte, Stifte und Lineale entdecken und können dann Ihr eigenes Schreibwarengeschäft eröffnen.

Bis dahin dürfen Sie beim Besorgen der Schulmaterialien nicht einfach stupide die vorgegebene Liste abarbeiten. Hier sind Mitdenken und Eigeninitiative gefragt. (Sie sind schließlich nicht auf der Arbeit.) Kaufen Sie die Utensilien nicht in einfacher, zweifacher oder dreifacher Ausführung, sondern so viel wie Sie bekommen können. Erst wenn Sie eine Lagerhalle voll mit Heften, Blöcken und Stiften besitzen, können Sie davon ausgehen, bis zum Ende des Schuljahres über ausreichend Schulmaterial zu verfügen. Falls wider erwartend am Ende der Schullaufbahn Ihrer Kinder etwas übrigbleiben sollte, können Sie das Zeug immer noch auf dem Schulmaterialien-Schwarzmarkt verscherbeln.

Let’s talk about money!

Inzwischen haben Sie sicherlich verstanden, dass Schulmaterialien eine äußerst kostspielige Angelegenheit sind. Falls Sie Neymar da Silva Santos Júnior heißen und 30 Millionen im Jahr verdienen, indem Sie gegen einen Ball kicken, kann Ihnen das ziemlich egal sein. Falls nicht, sollten Sie sich schleunigst um die Telefonnummer von Peter Zwegat bemühen, damit er Ihnen an seinem hübschen Flip-Chart erklären kann, wo es in Ihrem Haushalt Einsparmöglichkeiten gibt und was Sie bei einer Privatinsolvenz beachten müssen.

Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, wie Sie den Kauf von Schulmaterialien finanzieren können und dazu weder Ihre Nieren der Organ-Mafia verkaufen noch Walter-White-mäßig in Ihrem Keller Crystal Meth produzieren müssen. Sie können sogar Geld mit Schulmaterialien verdienen!

Nehmen Sie einfach einen hohen sechsstelligen Kredit auf und kaufen Sie Aktien von Schulmaterialien produzierenden Unternehmen. Ein totsicherer Anlagetipp, wie Ihnen jeder halbwegs kompetente Bankberater bestätigen wird. Bei Aktien von Schulmaterial-Herstellern sind jährliche zweistellige Renditen nahezu garantiert.

Nicht umsonst überlegt die Deutsche Bundesbank gegenwärtig, ihre Goldreserven im Wert von circa 140 Milliarden Euro gegen eine Geodreieck-Reserve auszutauschen. Letztere sind nämlich erheblich krisensicherer. Denn, um mich selbst zu zitieren, es heißt mit gutem Grund: “Zur Schule gegangen wird immer. (Notorische Schulschwänzer sind hiervon auszunehmen.)”

Einer flog über das Schulbücher-Einbinde-Nest

Selbstklebende Schutzfolie für Schulbücher: Was für Navy Seals schon eine Herausforderung ist, ist für Otto Normalverbraucher psychische Folter
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Freuen Sie sich aber nicht zu früh, wenn Sie alle Schulmaterialien besorgt haben und daher dem Irrglauben unterliegen, Ihr Kind sei jetzt bestens für das neue Schuljahr ausgestattet. Es gibt nämlich Schulen, die es nicht akzeptieren, dass die Lehrbücher in Schutzhüllen gesteckt werden, sondern sie müssen mit selbstklebender Folie eingebunden werden. (Ungünstigerweise gingen unsere Kinder auf eine solche Grundschule.)

Das zeugt von einem unbändigen Hass gegenüber Eltern, denn beim Einbinden von Schulbüchern steht zwischen Ihnen und einer Einweisung in die Nervenheilanstalt nur die Folie. Die Bücher verrutschen andauernd, die Folie schlägt Blasen und Falten und außerdem klebt sie immer an Stellen, an denen sie gar nicht kleben soll. Es soll Navy Seals geben, die im Krieg jeden Tag dem Feind und dem Tod in die Augen blickten, aber beim Einbinden von Schulbüchern einen Nervenzusammenbrauch erlitten, weil sie dem Druck nicht mehr standhielten.

Sicherlich, es gibt zahlreiche Tutorials auf YouTube, in denen Menschen zeigen, wie man ganz einfach Schulbücher mit Folie einschlagen kann. Meiner Meinung nach gibt es diese Menschen aber gar nicht, sondern das sind alles tricktechnisch animierte Videos, die alleine das Ziel verfolgen, Eltern zu demütigen, die am Einbinden von Schulbüchern scheitern.

Es gibt hier nur eine Lösung: Sie engagieren einen erfahrenen Mikro-Chirurgen, der über die notwendige Fingerfertigkeit und Feinmotorik verfügt, um die Bücher falten- und blasenfrei einzuschlagen. Der kann Ihnen auch gleich ein paar Aufheller verschreiben, damit Sie sich von Ihren eigenen Versuchen, die Bücher einzubinden, erholen können.

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Über den Autor

Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.

Im September ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.

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Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.