Die Sache mit der Schrift ist ganz einfach: Lasst sie frei!

Katharina Looks

Mit welcher Schrift sollten Kinder schreiben lernen? Da gehen die Meinung auseinander.
© Béa Beste

Vereinfachte Ausgangsschrift, Schulschrift, Druckbuchstaben, Tippen lernen … Wahrscheinlich gibt es wenig, was die Gemüter von Eltern und Lehrer derzeit so erhitzt, wie das Thema Schrift. Béa Beste fleht: “Aufhören, bitte!”

08.06.2015, Kolumne “Die Elternflüsterer”

Eltern wie Lehrer werden schnell zu Anhängern, Evangelisten oder gar Kriegern der einen oder anderen Schrift-Glaubensrichtung, wenn die Diskussion über die richtige Schrift anfängt. Ich flehe: Aufhören, bitte!

Am wichtigsten ist die Freude am Schreiben und Lesen, am besten mit allen Instrumenten, die es in unserer Welt gibt. So einfach ist das. Easy dahin gesagt? Nein, diese Meinung habe ich über Jahre entwickelt. 

Als Kinder der 70er Jahre in Rumänien war ich Opfer

Als Architektenkind habe ich durch Nachahmung gelernt. Ich schnappte die Rapidographen meiner Eltern und fing an, Buchstaben zu konstruieren. Das machen Architekten. Sie schreiben nicht, sie bauen Buchstaben. Ich hatte schnell diesen aufrechten, klar gezogenen Architektenstil drauf und machte meine Eltern stolz. Mit fünf Jahren durfte ich sogar kleine Beschriftungen auf den Entwurfsplänen meiner Mutter übernehmen. Dass das nahezu meine gesamte Grundschulzeit zur Hölle werden lassen würde, hatte damals keiner geahnt.

Mein erster Schreibversuch mit einem Tintenfüller wurde ein Fiasko. Ich hielt ihn falsch und mich auch nicht an das, was meine Klassenlehrerin von mir wollte. Ich schrieb. Schnell und flüssig. Ich fühlte mich stark und sachkundig. Den Schlag mit dem Holzlineal auf meine Finger sah ich nicht kommen. Er schmetterte meinen Füller ins Gesicht und brannte scheußlich auf den Fingerknöcheln. In meinem Gesicht vermischten sich Tintenflecken und Tränen. Ich wollte nie wieder schreiben.

Ich war immer gut in Zeichnen und Kunst, doch Schreiben für und in der Schule wurde für mich der Horror. Zuhause gestaltete ich Schriftplakate in Architektenschrift, um mich vor den Hausaufgaben zu drücken. Erlöst wurde ich in der fünften Klasse, auf dem Gymnasium, als es plötzlich hieß, wir dürften mit Bleistift und Kugelschreiber schreiben – und das ganz so, wie wir wollten. Auf einmal hatte ich die meistgelobte Schrift in der Klasse – von Fachlehrern, die einfach nur dankbar waren, dass sie meine Schrift lesen konnten und diese auch noch gut aussah. Warum nicht gleich so? Ich hasse meine Grundschullehrerin zutiefst. Heute noch.

Als Mutter habe ich mich durchgemogelt

Auch meine Tochter fing früh an, sich für die Welt der Buchstaben zu interessieren. Ihr liebstes Spiel waren Moosgummibuchstaben, die beim Baden in der Badewanne schwammen. Und als sie mit 5 Jahren drei Wochen Ferien mit Oma und Opa verbrachte, fing sie an, mir kleine, geschriebene „Mama ihc hab dihc lib“- Zettel in die Taschen zu stecken. Mit Argwohn und Vorsicht betrachtete ich die ersten Schreibversuche in der Schule. Aber hey, als gute U-Boot-Mama hatte ich keinen Alarm auf dem Radar. Das Kind schrieb mit normaler Geschwindigkeit, mittelmäßiger Begeisterung – und einigermaßen korrekt. Die Lehrerin hatte nichts zu meckern und dabei blieb es. Ich war für die schlimmsten Konflikte gewappnet – nur gab es keine. Nicht zum Thema Schrift.

Als Schulgründerin habe ich eine Haltung entwickelt

Ganz anderes wurde es, als wir in neu gegründete Schulen entscheiden mussten, was würdevoll genug für unser Konzept ist. Ich habe endlose Recherchen, Diskussionen mit Experten, Lehrern, Legasthenie-Spezialisten und ganz vielen Müttern, Vätern, Omas, Opas und sonstigen Familienmitgliedern unserer Schüler hinter mir. Und genau diese Auseinandersetzung hat mich zu dem Fazit oben gebracht.

Also: Geht jedem Schreibdogma aus dem Weg!

Die Diskussion um die richtige Schrift für Kinder kann man mit der zum Thema Trinken beim Essen vergleichen. Seit Menschen die Medizin erfunden haben, wechseln alle paar Jahre die Empfehlungen: Man solle beim Essen bloß nicht trinken, weil es die Magensäfte verdünne. Man solle beim Essen wohl trinken, weil es für eine bessere Durchfeuchtung des Magen-Darm-Traktes sorge. Was tun? Die Antwort ist einfach. Das einzig Wahre ist: DURST. Der Körper meldet sich schon. Trinkt einfach, wenn ihr Durst habt. Dann ist es richtig für den Körper.

Und so ist es auch mit den Kindern und dem Lesen und Schreiben! Wenn sie Durst nach Buchstaben haben, dann stillt einfach diesen Durst! Geht spielerisch den Formen nach, habt Spaß daran.

Und dabei ist es mir noch wichtig, dass das Tun mit den Händen nicht verkümmert. So wichtig wie das haptische Verstehen unserer Welt durch Spielen und Experimentieren, ist es auch, dass Kinder mit der Hand und Stiften, Pinsel, Wäscheklammern und allen anderen möglichen Instrumenten das Konstruieren von Buchstaben und Schriften BEGREIFEN. Als etwas, das lustvoll ist. Als eine wunderbare Möglichkeit, Gedanken auszudrücken und anderen Menschen zugänglich zu machen.

Aber macht euch nicht verrückt. In keinem Zusammenhang passt der Spruch besser, als wenn es um das Thema Handschrift geht: „Was du liebst, lass frei. Kommt es zu dir, dann gehört es dir, für immer.“

Eine Kolumne von Béa Beste

Über Béa Beste

Bildungsunternehmerin © Béa Beste Béa Beste ist Bildungsunternehmerin und Mutter einer großen Tochter, die sich schon im Studium befindet. Im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin plädierte Béa Beste als Expertin im Bereich „Wie wollen wir lernen?“ für eine Lernkultur der Potenzialentfaltung und mehr Heiterkeit in der Bildung. Béa gründete 2006 die bilingualen Phorms Schulen. Nach sechs Jahren als CEO ging sie 2011 auf Bildungsexpedition durch Indien, Australien, Indonesien und die USA. Inspiriert von internationalen Bildungsinnovationen entwickelte sie das Playducation Konzept: Was wäre, wenn sich Lernen wie Spielen anfühlt? Leider setzte sich das Produkt, die monatliche Tollabox mit Materialien und Ideen für Familien mit Kindern ab drei Jahren, nicht am Markt durch, sodass Béa derzeit neue Ideen entwickelt, um das Konzept digital umzusetzen. Sie führt den Kreativ-Blog der Tollabox als ‘Tollabea’ weiter

Webseite: www.tollabea.de

Twitter: @TOLLABEA | twitter.com/TOLLABEA

Die Kolumne “Die Elternflüsterer”

Im Wechsel flüstern der Journalist Christian Füller und Bildungsunternehmerin Béa Beste den Eltern Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens ins Ohr. 

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.