Experten im Interview: Wie kann Lernen Spaß machen?

Katharina Looks

Warum verlieren so viele Schüler die Freude am Lernen und was können Schulen und auch Eltern tun, um die Motivation langfristig aufrechtzuerhalten? Bildungsexperten übers Lernen mit Spaß.

Je länger Schüler zur Schule gehen, desto weniger Freude haben sie am Lernen – so das Ergebnis unserer Studie “Lernen mit Spaß”  in Kooperation mit dem Kindermagazin ZEIT LEO (September 2013). Wir haben fünf renommierte Bildungsexperten mit den Ergebnissen der Studie konfrontiert und sie um ihre Einschätzung zum Thema Lernen mit Spaß gebeten.

Experteninterview – Fragen im Überblick

Die Einschätzungen der Experten zum Thema Spaß beim Lernen

1. Laut unserer Kinderbefragung haben Schulkinder mit zunehmendem Alter immer weniger Freude am Lernen. Kommt der Spaß beim schulischen Lernen also insgesamt zu kurz?

Prof. Dr. Martin Korte: Ja. Das liegt an dem riesigen zeitlichen Druck. Wenn alle unter Druck lernen müssen, weil der Lehrer den Lernstoff durchbringen muss, die Schüler dem Lernstoff hinterher hecheln und die Eltern auch nicht mehr richtig hinterher kommen, dann vergeht einem der Spaß am Lernen.

Elsbeth Stern: Ja. Schüler sind tatsächlich oft frustriert und verlieren die Freude am Lernen. Allerdings ist Spaß nicht der angemessene Ausdruck, um das Defizit zu charakterisieren. Den Schülern fehlt Kompetenzerleben: Sie machen keine Fortschritte und das frustriert sie. Die Aufgabe der Lehrpersonen ist es, den Stoff und die Aufgaben so zu gliedern, dass die Schüler Lernfortschritte machen. Das motiviert sie, selbst wenn sie den Stoff nicht übermäßig interessant finden.  

Béa Beste: Im Bildungssystem kommt er definitiv zu kurz. Das System ist eigentlich ein System von Spaßbremsen. Das sag ich aus voller Überzeugung. Natürlich gibt es immer Ausnahmen und in jeder Schule gibt es Menschen, die Lernen motivierend, voller Neugier und mit Spaß gestaltet. Aber grundsätzlich liegt das Problem in der Lehrerausbildung. Sie ist auf Stoffvermittlung ausgerichtet, auf Prüfungen und darauf, Defizite zu identifizieren. Was fehlt, ist ein Chancenblick – zu gucken, wo kann ich das Beste aus den Menschen heraus kitzeln, wobei empfinden sie Freude.

Michael Felten: Das ist je nach Lehrperson sehr unterschiedlich. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Lehrertypen, an der zeitlichen Überlastung der Lehrer und an Defiziten in der Lehreraus- und -weiterbildung.

Micheal Fritz: Je älter Schüler werden, desto kürzer kommt der Spaß. Man kann das aber ändern. Es gibt inzwischen viele Schulen, die mehr auf das Individuum schauen. Das sind Schulen, die stärker lernerzentriert arbeiten. Der Lehrer befähigt die Schüler, das Lernen, das Trainieren selbst zu übernehmen. Lehrkräfte sind nach dieser Auffassung eher Lernbegleiter oder Lerncoach.

2. Die Kinderbefragung zeigt: am Anfang spielen Eltern und Lehrer noch eine große Rolle beim Lernen. Mit zunehmendem Alter wollen Kinder jedoch lieber allein lernen. Doch warum ist Spaß am lernen – unabhängig von der Lernumgebung – so wichtig?

Béa Beste: Spaß ist extrem wichtig. Mit Spaß meine ich dabei nicht Wellness oder dass man alles in Comics verpacken muss. Ich würde Spaß eher mit Freude und Neugier übersetzen. Für mich kommt der Spaß, sprich die Freude am Lernen, wenn junge Menschen die Möglichkeit haben, ein Interesse zu entwickeln und diesem so richtig tief nachzugehen. Das heißt nicht, dass man die ganze Zeit lacht und Witzchen macht, sondern, dass Kinder und junge Erwachsene Forscherfreude empfinden. Und es kann sein, dass sie dabei nicht lachen, sondern mit konzentriertem Blick einer Sache nachgehen – das ist auch Spaß. Leider ist unser System nicht darauf ausgerichtet, diese Forscherinteressen zu identifizieren.
Der Spaß kommt dann, wenn sich ein Flowgefühl einstellt, das sich ergibt, wenn wir einer Tätigkeit nachgehen, die knapp unter der Überforderungsgrenze läuft: Es interessiert uns, wir können etwas erreichen, wir sind gut dabei und vertiefen uns in der Aktivität. Das machen kleine Kinder ganz von selbst. Ein Baby, das Laufen lernt, hat ein Flowgefühl. Ein kleines Kind, auf dem Spielplatz, das gerade Sandburgen baut, hat ein Flowgefühl. Das ist für mich Spaß beim Lernen: Etwas zu schaffen, Situationen zu konstruieren, in denen die Lerner in dieses Flowgefühl reinkommen können und auch dürfen. Das impliziert auch Strenge und ihnen etwas abzuverlangen.

Prof. Dr. Martin Korte: In dem Moment, wo einem das Lernen Spaß macht, geht es wie von selbst. Es hat einen Erlebnischarakter. Dann kann sich das Gehirn leichter erinnern, und das zieht einen positiven Rattenschwanz nach sich: Die Kinder müssen weniger nacharbeiten, sie arbeiten besser mit, die ganze Unterrichtsatmosphäre wird anders. Insofern kann man die Bedeutung von Spaß am Lernen gar nicht genug betonen.

Michael Felten: „Spaß“ meint oft eine eher oberflächliche Positivbefindlichkeit und wird in seiner Lernbedeutsamkeit überschätzt. Lernen darf nicht nur vom momentanen Empfinden des Lernenden her gedacht werden, sondern auch von seinem individuellen und gesellschaftlichen Ziel. Anzustreben wären also Freude am Erkunden, Vergnügen beim Tüfteln, die Lust am Durchbeißen und Durchhalten sowie das Glück des Könnens.                      

Michael Fritz: Als Lernexperte mit dem Hintergrund der Neurobiologie kann ich ganz klar sagen, Spaß ist das Wichtigste, was zum Lernen gehört. Lernen, das auf Dauer keinen Spaß macht, ist zwecklos! Das Gehirn ist so angelegt, dass es nichts lieber tut, als zu lernen. Immer wenn das Gehirn die Erfahrung macht, etwas verstanden zu haben, fühlt sich der Lernende gut und bestätigt. Das löst Spaß aus. Lernsituationen sollten deshalb so angelegt sein, dass sie dem Lernenden mindestens am Schluss das Gefühl von Erfolg, von Können und damit von Freude und Spaß geben. Das schließt nicht aus, dass zwischen der Anfangssituation und dem Freudegefühl oft eine ganze Menge Anstrengung steckt, im Gegenteil: nur der selbst überwundene Widerstand lässt einen die eigenen Kräfte spüren. Deshalb ist es wichtig, dass der Lernende schon Vorfreude auf das Lernziel empfindet, um auch die anstrengenden Phasen zu überwinden. Diese Lust auf das Lernziel kann im Übrigen keine Lehrkraft machen. Die kann nur beim Lernenden selbst entstehen. Nur wenn es ein Ziel ist, für das sich der Lernende frei und autonom entschieden hat, kann er die Verantwortung auch in anstrengenden Phasen nicht abschieben oder mit Frustration und Widerstand reagieren. 

3. Die befragten Kinder gaben an, dass die Freude am Lernen spätestens mit dem Wechsel auf eine weiterführende Schule nachlässt. Woran liegt das?

Béa Beste:  Auf jeden Fall an dem zunehmenden Leistungsdruck. Nicht nur in der Schule, sondern auch im Elternhaus. Einerseits wünschen sich Eltern, dass sich das Kind wohlfühlt in der Schule, mit Spaß lernt und überhaupt seine Flügel ausstreckt. Aber dann kann das Nachbarskind schon ein Gedicht auswendig oder es schreibt schon viel besser. Und was passiert, wenn das eigene Kind die Gymnasialempfehlung nicht bekommt? Dementsprechend macht die Schule den Leistungsdruck nur zur Hälfte. Aber es hat natürlich auch etwas mit den Lehrmethoden zu tun.

Michael Fritz: Was die Schüler sagen, können wir mit Studien belegen. Je jünger Kinder sind, desto häufiger haben sie Erfolgserlebnisse und empfinden ihre Umgebung als ihnen wohlgesonnen. Das gilt vor allem für den Kindergarten und auch noch in den ersten Klassen der Grundschule. Mit zunehmendem Alter, spätestens ab Klasse 5 und 6, erleben sich immer mehr Kinder immer öfter in Situationen, in denen ihre Umgebung ihnen mitteilt: Du kriegst es nicht hin. Das sorgt mit dafür, dass es auch so eintritt. Es demotiviert und frustriert, macht lustlos und macht vor allem keinen Spaß.

Elsbeth Stern: Dass man sich nicht für alle schulischen Inhalte gleichermaßen interessiert und mit zunehmendem Alter seine Vorlieben entwickelt, ist natürlich und soll so sein. Lehrpersonen, die davon ausgehen, dass jeder Schüler Begeisterung mitbringen muss, haben ihre Aufgabe nicht verstanden. Diese besteht darin, auch weniger motivierten Schülern zu vermitteln, warum die behandelten Inhalte wichtig sind.

Prof. Dr. Martin Korte: Es war schon früher so, dass es für ältere Schüler nicht mehr cool ist, anzugeben, dass Schule Spaß macht. Aber ich glaube in der Tat, dass es zunehmend schwieriger wird, Schüler in ihrer Sprache und mit den Medien anzusprechen, die sie gewohnt sind. Da spielen neue Medien eine große Rolle. Es gibt ganz neue Lernkulturen. Jugendliche sind immer stärker gewohnt, nicht mehr Konsumenten des Lernens und des Lebens zu sein. Sie wollen aktiv mitbestimmen, was sie machen. Auf der einen Seite können sie ihre Handys komplett individuell konfigurieren, und in der Schule sind sie für sechs bis acht Schulstunden mehr oder weniger fremdverplant.

Hinzu kommt, dass der Leistungsdruck auf Schüler und Lehrer enorm gewachsen ist. Ich glaube zwar nicht, dass Leistungsdruck per se auf den Spaß drücken muss. Leistungsmusiker und -sportler haben beispielsweise auch viel Spaß. Aber da steckt immer eine gewisse Freiwilligkeit beim Lernen drin. Während sich Schüler in der Schule immer auf einen Zweck bestimmt fühlen.

Michael Felten: Das hängt eher mit der beginnenden Pubertät zusammen, als mit Rahmenbedingungen in der Schule. Und es hängt damit zusammen, dass Lehrer der weiterführenden Schulen schnell zu methodeneuphorischen Nur-Stoff-Paukern werden und sich zu schnell/zu häufig über die „Betriebsgeräusche“ der Pubertät ärgern.

4. Computergestützte und praktische/projektbezogene Aufgaben sind nach Angaben der Kinder die Lernmethoden, die ihnen am meisten Spaß machen. Wie sollte der Schulunterricht aufgebaut sein, um Schülern Freude am Lernen zu vermitteln?

Michael Fritz: Alles was projektartig, handlungsorientiert und an einem konkreten Produkt orientiert ist, hat mehr Potenzial auf Spaß, Freude und Erfolg, als das, was nur eindimensional über das nur Hören und nur Sehen stattfindet. Alles, was ich mir mehrkanalig, das heißt mit allen Sinnen, mit dem ganzen Körper, eben mit Kopf, Herz und Hand erarbeite, wo ich mehrere Regionen meines Gehirns nutze, sorgt für eine intensivere Verarbeitung, sorgt für mehr Involviertheit, für größeren Lernerfolg und damit für mehr Spaß.

Dass Kinder dennoch auch am Computer Spaß erleben, liegt daran, dass dieses Medium in einem Punkt sehr gut ist: Es lässt sich auf den Lernenden ein. Der Lernende entscheidet selbst, auf welchem Level er sich die nächste Herausforderung holt. Wer am Computer arbeitet, kann sich außerdem immer wieder Unterstützungsmöglichkeiten, das Hilfesystem, den Sitznachbarn, die Lehrerin oder sonst jemanden suchen, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Und der Computer ist klasse darin, dem Lernenden ein direktes Feedback zu geben über das, was er gut kann. Erwachsenen und Jugendlichen können Computerprogramme darum ab und zu eine gute zusätzliche Lernunterstützung bieten. Bei Kindern in der Grundschule aber kann der Computer den Methodenmix im Unterricht zwar ergänzen, den guten Erzieher und die gute Lehrerin aber auf keinen Fall ersetzen.

Elsbeth Stern: Die Lernwirksamkeit von beiden Methoden wird überschätzt. Wenn Schüler Spaß haben, aber nichts lernen, hat die Schule ihren Zweck verfehlt. Unterricht  muss lehrergesteuert aber schülerzentriert sein, d.h. die Lehrperson muss die Führung übernehmen, aber immer auch im Auge haben, was von ihrem Input bei den Schülern ankommt. Computer können hilfreiche Werkzeuge sein, insbesondere wenn es um vertiefende Übungen geht. Ersetzen können sie den Lehrer nicht.

Michael Felten: Abwechslungsreich, locker und klar („herzliche Strenge“), ermutigend (im Klassenklima sowie in Einzelmaßnahmen), sinnvolle & interessante Aufgaben, bisweilen binnendifferenziert, anspruchsvoll.

Prof. Dr. Martin Korte: Auf der einen Seite ist es gut, wenn der Schulunterricht von den Erfahrungen der Kinder ausgeht – das schließt das situative Lernen und Methoden des Lernens mit ein, die mehr an den täglichen Lebensbezügen der Kinder andocken. Beispielsweise mit modernen Medien. Es sollten daher Unterrichtsformen gefunden werden, die das stärker berücksichtigen.
Darüber hinaus ist es extrem wichtig, Unterrichtsmethoden zu wechseln, weil jeder Wechsel auch eine Neugierde schafft. Von Gruppenarbeit zu Computerarbeit zu offenen Unterrichtsformen. Jeder Wechsel erzeugt für das Gehirn eine Art Spaß und ist mit Neugierde verbunden. Denn alles, was neu ist, wird vom Gehirn zunächst positiv bewertet.

Béa Beste: Damit sich Spaß und Freude im Unterricht einstellen, müsste der Lehrer selber an der Sache Spaß haben. Ganz oft prügeln die Lehrer irgendeinen Stoff durch, damit es in die Köpfe der Kinder kommt. Dabei würde es so viel helfen, wenn der Lehrer selbst Freude empfindet. Auch Frontalunterricht geht, wenn eine Lehrkraft begeistern kann. Dafür braucht sie aber Zeit und weniger vermeintlichen Druck. Wichtig ist auch, dass Lehrer nicht alles können müssen. Vielmehr könnten sie sich im Elternkreis oder in der Community umschauen, damit jemand vom Fach mal einen Tag in die Klasse kommt und wiederum begeistert sein jeweiliges Thema vermittelt. Auch Computer sind da hilfreiche Mittel.

Der Koordinator der Pisa-Studie Andreas Schleicher hat es einmal so ausgedrückt: „Heutzutage kann nahezu jede Prüfung mithilfe eines Smartphones bestanden werden. Wenn Sie wollen, dass Ihr Kind smarter als das Smartphone ist, müssen Sie Ihrem Kind andere Fähigkeiten beibringen.“ Es geht nicht mehr um Wissen, sondern darum, Menschen zu entwickeln, damit sie sich letzten Endes selbst entwickeln können.

Lehrkräfte, die das tun, sollten viel mehr in der Öffentlichkeit hervorgehoben werden. Eigentlich müsste fast jede größere Publikumszeitschrift den Lehrer der Woche präsentieren: Was macht er gut, was lieben die Kinder an ihm? Einfach mal die Leute zeigen, die es toll machen, statt immer zu sagen, wer es falsch macht.

Alles rund um die Studie:

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.