Handy, Internet & Co.: Wie Regeln im Familienalltag besser funktionieren

Katharina Looks

Das Schwierigste beim Medienkonsum ist das Abschalten.
Fotolia.com

Grenzen festzurren, Konflikte aushalten … Eltern bemühen sich, ihre Kinder von einer übermäßigen Mediennutzung fernzuhalten. Regeln allein bringen jedoch nur selten den gewünschten Erfolg. Prof. Dr. Norbert Neuß gibt Tipps.

Kinder haben sehr gute Sensoren für das Medienverhalten ihrer Eltern. Sie beobachten genau, wie Mama und Papa mit Smartphone und Co. umgehen. So stört es 68 Prozent der Kindern und Jugendlichen zumindest manchmal, wenn ihre Eltern Handy oder Computer in ihrer Gegenwart nutzen. Das ergab unsere FACT-Umfrage unter Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 14 Jahren. (Alle Umfrageergebnisse anschauen.)

Kein Wunder also, wenn Kinder nicht verstehen, warum das Smartphone tabu ist, wenn ihre Eltern doch ständig draufschauen, oder?

Kinder akzeptieren Regeln für Internet, Handy & Co. eher, wenn sich auch die Eltern daran halten und einen bewussten Umgang mit Medien vorleben!

Das bestätigt auch unsere Studie: Vielen Kindern fällt es schwer, Regeln für die Mediennutzung einzuhalten, wenn ihre Eltern etwas anderes vorleben. Sie akzeptieren Vorgaben eher, wenn diese auch für die Erwachsenen gelten. Mutter und Vater sind Vorbilder Nummer 1 für ihre Kinder – auch wenn es nicht immer so scheint. 

Was bedeutet das für Eltern und ihre Medienerziehung?

Wo sind Regeln allein für Kinder wichtig, welche sollten für alle Familienmitglieder gelten und was können Eltern ruhig mal lockerer sehen? Das haben wir den Medienpädagogen und Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Norbert Neuß gefragt:

scoyo: Viele Kinder und Jugendliche stört es, wenn ihre Eltern in ihrer Gegenwart Handy oder Computer nutzen. Sollten Smartphones also während des Familienalltags tabu sein?

Medienpädagoge und Erziehungswissenschaftler © Prof. Dr. Norbert Neuß Prof. Dr. Neuß: Nein. Hier müsste man danach fragen, was die Kinder genau stört. Es könnte zum Beispiel sein, dass der Computer als Arbeitsmittel auch zuhause so weit verbreitet ist, dass er bei Eltern viel Zeit in Anspruch nimmt, die dann für die Kinder nicht mehr zur Verfügung steht.

Papa oder Mama verschmelzen dann mit dem PC zu einer Einheit und sind nicht ansprechbar. 

Natürlich gibt es auch Eltern, die den PC als intensives Spielgerät mit Kopfhörern nutzen. Hier “beamt” sich der Erwachsene dann über lange Zeit aus der Familie und ist nicht ansprechbar. Das Ergebnis sollte Eltern dazu bewegen, die eigene Nutzung von Neuen Medien mal aus Sicht der Kinder zu betrachten.

scoyo-Tipp: Setzen Sie sich einen Abend mit der ganzen Familie zusammen und füllen Sie unseren Mediennutzungs-Test aus – eine gute Grundlage, um über wichtige Aspekte zu sprechen.

scoyo: Hilft es Ihrer Meinung nach, wenn im Familienalltag auch für Eltern Regeln zur Mediennutzung gelten?

Prof. Dr. Neuß: 

Regeln im Umgang mit Medien machen nur dann Sinn, wenn auch Eltern sich daran halten. Wenn also die Regel “Kein Smartphone während der Mahlzeiten” verabredet wird, weil dies die Tischkommunikation lahmlegt, dann muss das selbstverständlich auch für Eltern gelten.

Je älter die Kinder werden, umso mehr muss man ihnen allerdings eine gewisse Selbständigkeit (auch im Umgang mit Medien) zugestehen. Vielfach ist das Ausloten von Regeln aber mit Streitereien und Konflikten verbunden.

Aushandeln und Begründungen suchen sind das eine. Sollte die Mediennutzung aber durch die Kinder nicht selbständig dosiert werden (können), ist ein gelegentlicher “Hardwareentzug” durch die Eltern nötig.

scoyo: Gibt es Richtwerte für Regeln zur Mediennutzung bzw. Medienzeit, an denen Eltern sich orientieren können?

Prof. Dr. Neuß: Eltern gehen familiären Streitigkeiten leichter aus dem Weg, wenn sie keine zeitlichen Vorgaben machen. Diese “Scheinharmonie” lenkt aber nur von der Notwendigkeit ab, Grenzen setzen zu müssen. Gerade mobile Geräte sind regelrechte “Zeitfresser”. Außerdem blockieren sie die familiäre Kommunikation, wenn zu jeder Zeit auf WhatsApp-Nachrichten gewartet oder geantwortet wird.

Folgende zeitliche Grenzen können eine Orientierung bieten und sollten mit Kindern ausgehandelt und vereinbart werden: 

  • Vorschulkinder: nicht länger als eine Stunde Nutzung elektronischer Medien (das heißt Fernsehen, Computer o. ä.);
  • Grundschulkinder und Pre-Teens: nicht länger als zwei Stunden Nutzung elektronischer Medien;
  • Teens: nicht länger als drei Stunden. Nun klingt drei Stunden schon irre lang und an der “äußersten” Grenze. Aber rechnet man jeweils Computer, Fernsehen und Smartphone zusammen, dürfte das Einhalten eine echte Herausforderung sein. Allerdings ziehen Zeitangaben auch die Frage der Kontrolle und der Sanktionierung nach sich. Je älter die Kinder werden, umso schwieriger wird dies.

scoyo: Unsere Umfrage hat außerdem ergeben, dass es fast jedes vierte Kind nervt, dass die Eltern glauben, sie würden mit Handy oder Computer nichts lernen. Haben Eltern falsche Vorstellungen von der Mediennutzung ihrer Kinder?

Prof. Dr. Neuß: Ein klares “Jein”. Gerade Smartphone und Handy werden zeitlich inflationär genutzt, das heißt es wird stundenlang auf das Gerät gestarrt und gewartet, bis die erhoffte Antwort zum Beispiel über WhatsApp eintrifft.

Natürlich können Kinder mit mobilen Geräten etwas lernen, das hängt von der Nutzung der Inhalte ab. Es gibt zum Beispiel sehr gute Vokabeltrainer für das Smartphone. Allerdings nutzen Heranwachsende das Handy vor allem für die Kommunikation miteinander, für die Selbstdarstellung oder die Dokumentation ihrer Erlebnisse.

Aber auch das sind wichtige “Lernbereiche” innerhalb der eigenen Identitätsfindung, die Eltern manchmal übersehen. 

scoyo: Es gibt also kein Schema F für die Medienerziehung? 

Prof. Dr. Neuß: Mediennutzung in der Familie bleibt weiterhin ein heißes Eisen. Dabei kommt es sehr darauf an, ob die Medien von den Heranwachsenden kreativ, kommunikativ, herausfordernd und gestalterisch genutzt werden oder ob dies in monotoner, isolierender und stumpfer Form geschieht.

Medienkompetenz © Pixsooz – Fotolia.com Eltern sollten prüfen, welche Rolle die Medien und ihre Nutzung im Gesamtspektrum der kindlichen Lebenswelt einnehmen. Gibt es genügend sportliche Aktivitäten, reale Freunde, Zeit für die Schule und familiäre Aktivitäten oder dominieren Medien den Alltag des Kindes in so starker Weise, dass alle anderen Lebensbereiche darunter leiden? Je nach Beantwortung der Frage werden Eltern ihre medienerzieherischen Aktivitäten ausrichten und dabei selbstkritisch ihr eigenes Medienverhalten überprüfen.

scoyo-Tipp: Machen Sie unseren Medienkompetenz-Test und finden Sie heraus, wie gut Ihr Kind schon mit Neuen Medien umgehen kann. Als Ergebnis erhalten Sie individuelle Tipps für den Umgang mit Medien Zuhause.

scoyo: Eltern sind ein großes Vorbild für ihre Kinder, auch in Sachen Mediennutzung. Unterschätzen Eltern ihre Rolle?

Prof. Dr. Neuß: Vielfach nutzen Eltern “ihre Medien” so selbstverständlich, dass sie dies selbst kaum noch wahrnehmen oder in Frage stellen. Sensibler sind sie jedoch gelegentlich für die “Medien der Kinder”, weil diese oftmals neue und ungewohnte Nutzungsmuster an den Tag legen. 

So lässt sich beobachten, dass Heranwachsende heute weniger direkt miteinander sprechen, sondern Text- oder Sprachnachrichten per WhatsApp versenden. Diese “Kurzinfos” gespickt mit Emoticons sind nicht selten interpretationsanfällig, das heißt missverständlich. In einem direkten Gespräch könnte man gleich nachfragen oder irgendwie Unverständnis signalisieren. Daher ist es wichtig, Heranwachsenden die eigenen Beobachtungen zur Nutzung zu verdeutlichen, damit es überhaupt in den Reflexionshorizont der Kids tritt. Ebenso werden gelegentlich Fotos oder Screenshots von einer WhatsApp-Kommunikation an Dritte weitergeleitet. Da steckt zwar nicht gleich “Mobbing” dahinter, dennoch werden hier eventuell Persönlichkeitsrechte anderer verletzt. Auch dies gilt es, im Gespräch zu thematisieren.

Eltern sind aber nicht nur bei der Mediennutzung Vorbilder für die Kinder, sondern auch in anderen relevanten Lebensbereichen: Freizeitverhalten, Ernährung, Leistungsbereitschaft und Konsumverhalten. Auch wenn es bei Heranwachsenden in der Pubertät manchmal so aussieht, als hätten das eigene Vorbild und die eigenen Werte keine Wirkung erzielt, so sollten Eltern doch darauf vertrauen, dass sich ihr Bemühen positiv auswirkt.

Mehr zum sinnvollen Umgang mit Medien in der Familie

Welche Regeln zur Mediennutzung sind wirklich sinnvoll, und wie setzt man sie durch? Diese und weitere Fragen zum Umgang mit Medien in der Familie stellten wir Kindern, Eltern und Medienpädagogen auf unserem 5. Digitalen scoyo-Elternabend. Hier können Sie die Diskussion noch einmal online ansehen und erhalten viele praktische Tipps von unseren Experten.

Über Prof. Dr. Norbert Neuß

Professor Dr. Norbert Neuß lehrt an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Bereich “Pädagogik der Kindheit/Elementarbildung”. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Medienpädagogik, die Professionalisierung im Elementarbereich und die Kindheitsforschung. Weitere Informationen: www.dr-neuss.de

*Quelle: FACT-Online-Befragung unter 1.014 Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 14 Jahren hat. 

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.