Viele Schulprobleme, kein Selbstbewusstsein – sind wir schuld?

Katharina Looks

Schwächen im logischen Denken und in der Sinnerfassung verursachen bei dem Sohn unserer Leserin große Schulprobleme – und nagen an seinem Selbstbewusstsein. Sie fragt: Sind wir Eltern schuld? Welche Möglichkeiten haben wir?

Elternfrage zum Thema Schulprobleme & Selbstbewusstsein

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Sohn geht in die 5. Klasse (Grundschule). Er hat Probleme beim logischen Denken und in der Sinnerfassung, die anderen Bereiche bewegten sich bei einer Testung im normalen durchschnittlichen Bereich. Bei Klassenarbeiten behindert ihn die fehlende Sinnerfassung beträchtlich, an einen Nachteilsausgleich (mehr Zeit) halten sich nicht alle Lehrer.

Sein Selbstwertgefühl ist am Boden und er denkt, dass er “doof” ist. Auch 18 Monate Verhaltenstherapie konnten das nicht ändern. Bei uns an der Schule herrscht Lehrermangel und nur Kinder, die gar keine Hilfe benötigen (Selbstläufer), haben es “leicht”. Wir haben das Gefühl, dass wir allem hinterherrennen und von einer Ohnmacht in die nächste fallen.

Er geht gern zur Schule, hat aber jegliches Interesse verloren, sich für die Schule anzustrengen. Er lügt, zeigt keine Arbeiten vor, schiebt alles von sich, was mit der Schule zu tun hat, mit der Begründung man stehle ihm die Freizeit. Hausaufgaben werden erledigt, es ist ihm aber egal, ob das richtig ist. Er schreibt dann einfach irgendwas ins Heft.

Alles ist nur noch verkrampft und anstrengend und teilweise so ätzend, dass man sich fragt, warum ist das so, sind wir schuld? Wir haben doch nie solchen großen Druck auf unseren Sohn ausgeübt … Wir suchen eine freie Schule, aber alle sind voll besetzt. Unsere Möglichkeiten sind gering … Oder sehen wir das nur so?

Vielen Dank für Ihre Hilfe!

Unsere Experten antworten: 

Susanne Egert, Psychologin: Liebe heißt das Zauberwort

© Susanne Egert Ihre Anfrage bei scoyo klang ziemlich verzweifelt, gleichzeitig war die Situation sehr komplex. Um die Frage fachlich fundiert beantworten zu können, brauchte ich mehr Informationen, alles andere wäre nicht seriös gewesen. Daher habe ich Ihnen ein Telefonat angeboten und Sie haben mir zusätzliche Ergebnisse zur Verfügung gestellt, die bereits vorlagen. Sie hatten sich ja schon vor längerer Zeit fachliche Hilfe geholt. Das war zweifellos sehr klug, dafür gibt es schließlich Fachleute.

(Ich empfehle Ihnen, die Frage der Aufmerksamkeit noch einmal genauer prüfen zu lassen. Hier scheinen mir die Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Ergebnissen widersprüchlich, auch im Hinblick auf die Medikation.)

Aus den vorliegenden Testergebnissen ergab sich eine allgemeine Denkfähigkeit im untersten Durchschnittsbereich, die eine Überforderung des Kindes in der Grundschule erwarten lässt. Menschen sind eben verschieden. Der eine hat schwarze Haare, der andere blonde. Jeder Mensch ist einzigartig! Deshalb ist ja niemand mehr oder weniger wert. Und jeder hat Stärken und Schwächen. Die persönlichen Stärken Ihres Sohnes herauszufinden und zu betonen, das ist das Geheimnis! Mit den Stärken arbeiten, nicht gegen die Schwächen.

Hinzu kommt auch noch, dass sich die Intelligenz aus unterschiedlichen Teilfähigkeiten zusammensetzt, die bei Ihrem Sohn nicht durchgängig schwach, sondern sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Dies kann im Einzelfall zu Schulproblemen führen. Das Kind wird aufgrund seiner Stärken überschätzt und eventuelles Versagen als Faulheit ausgelegt. Das Kind fühlt sich dann ungerecht behandelt, weil es sich nach Kräften bemüht, aber aufgrund seiner begrenzten Möglichkeiten eben nicht zu ausreichenden Leistungen kommen kann.

Das ständige Erlebnis von Versagen und Ermahnen führt häufig dazu, dass das Kind Angst entwickelt, Fehler zu machen, für die es Ärger bekommt und auch Angst überhaupt zur Schule zu gehen. Und Angst blockiert das Denken sowieso. Dass dies bei Ihrem Sohn bisher nicht der Fall ist, sondern er, wie Sie beschreiben, immer noch gern zur Schule geht, lässt darauf schließen, dass er ganz gute (seelische) “Abwehrkräfte” hat!

Dennoch hat Ihr Sohn die Erfahrung gemacht, dass es sich für ihn nicht lohnt sich anzustrengen, da “es sowieso nichts nützt”. Er hat – so scheint es – aufgegeben (“Hausaufgaben sind egal.” “Er hat jegliches Interesse verloren”, schreiben Sie.). Negative Erfahrungen haben sein Selbstbewusstsein beschädigt und – was noch bedeutsamer ist – er erlebt vermutlich wenig bis keinerlei Selbstwirksamkeit mehr, d.h. er kann die Situation aus seiner Sicht nicht beeinflussen. Egal was er tut, es ändert nichts.

Selbstwirksamkeit ist aber der wichtigste Schutzfaktor für seelische Gesundheit oder andersherum ausgedrückt: Wenn ein Mensch keine Selbstwirksamkeit empfindet, kann er sehr schnell in eine Depression abrutschen. Damit das nicht geschieht, kommt es jetzt darauf an, Ihren Sohn zu schützen und zu stärken! “Wie kann ich das tun?”, werden Sie jetzt fragen.

Dafür möchte ich Ihnen einige konkrete Tipps geben:

Tipp 1: Lassen Sie nicht zu, dass Schule Ihr (Familien-) Leben beherrscht

Selbst wenn Sie es so einschätzen, dass Sie bisher keinen großen Druck auf Ihren Sohn ausgeübt haben, kann er das anders empfinden. Kinder haben feine Antennen. Deshalb wäre es gut, das was wichtig ist, neu zu sortieren: Schule ist wichtig, aber Schule ist nicht alles. Wirklich wichtig ist, dass Ihr Kind sich geliebt und erwünscht fühlt!

Geben Sie ihm Rückendeckung, indem Sie ihm sagen und ihn spüren lassen: “Wir haben Dich lieb, so wie Du bist! Egal was in der Schule ist! Wir finden vielleicht manchmal nicht so gut, was Du tust, aber das ändert kein Stück daran, dass wir Dich lieb haben!” Das Einzigartige an der Beziehung zwischen Eltern und Kind ist doch diese bedingungslose Liebe, die man sich nicht verdienen muss. Die einem Rückendeckung und Kraft gibt, “in guten wie in schlechten Zeiten”. Also, lassen Sie nicht zu, dass die Schulprobleme Ihr (Familien-) Leben beherrschen!

Bitte vertrauen Sie da auf Ihr Gefühl als Mutter und lassen Sie sich nichts anderes einreden. Dafür können Sie “Das andere Zeugnis” nutzen, das das scoyo ELTERN! Magazin als Download zur Verfügung stellt.

Verbringen Sie Zeit mit Ihrem Sohn, machen Sie etwas zusammen, an dem Sie beide (oder auch die ganze Familie) Freude haben. Da muss nicht unbedingt “Spielen” als Überschrift  drüber stehen. Sie können auch zusammen backen, mit dem Haustier Tricks einüben oder ein Zimmer neu tapezieren… Bauen Sie Freude in sein Leben und das der ganzen Familie ein. Jeden Tag ein bisschen. Es muss nichts Großes oder Teures sein!

Es darf auch gerne mal etwas Verrücktes oder Ungewöhnliches sein, das Sie gemeinsam zum Lachen bringt! Picknick auf dem Wohnzimmerteppich, wenn’s draußen regnet. Dazu wird das Essen von der elektrischen Eisenbahn oder dem ferngesteuerten Auto aus der Küche ins Wohnzimmer gebracht.

Oder mit dem Handy einen “Werbefilm” über Ihre Familie drehen: “Die Schulzes geben niemals auf! Warum wir die beste Familie der Welt sind!”.

Dazu finden Sie weitere wichtige Hinweise in meinem Artikel “Wie Eltern bei schlechten Noten reagieren sollten” und “Vom Wirr-Warr der Gefühle

“Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten.” Jean Paul

Tipp 2: Außerschulische Anerkennung nutzen

Ganz nebenbei wird ihr Sohn auch merken, was er alles kann – und nicht nur was er nicht kann. Geben Sie ihm jede Menge Gelegenheit, das herauszufinden sowie zu zeigen und geben Sie ihm dafür Anerkennung (Fußball, Rettungsschwimmerabzeichen in seinem Alter, etc.). Betonen Sie, was ihn ausmacht und dass Sie stolz auf ihn sind. Dazu empfehle ich Ihnen, auch meinen Artikel “Selbstbewusstsein bei Kindern steigern” zu lesen.

Tipp 3: Schule in die Verantwortung nehmen

In einem Gespräch mit seinen Lehrkräften sollten Sie sich erklären lassen, in welcher Weise die Aufgaben, die Ihr Sohn bekommt, seinem Leistungsniveau angepasst werden.

Tipp 4: Kleine Helferchen mit großer Wirkung

Und schließlich: Wieso Schaukeln, Trampolin und Co. geniale Helfer bei Schulproblemen sind, finden Sie in meinem Artikel Achtung Wutanfall – was tun?“. 

Viel Spaß beim Ausprobieren wünscht Ihnen

Ihre Susanne Egert

Falko Stolp, Schulleiter: Zusammenarbeit mit der Schule stärken

© Falko Stolp Zunächst ist es schwer, hier einen wirklichen guten Ratschlag zu geben. Das liegt daran, dass man die Schulsituation und das gesamte Umfeld nicht kennt und allein die strukturelle Beschaffenheit der Schullandschaft in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist.

Dem Elternbrief zufolge handelt es sich um Hamburg oder Berlin, weil da die Grundschule bis zu 6. Klasse geht. Dem Brief ist auch zu entnehmen (Nachteilsausgleich, Therapie usw.), dass es doch schon länger andauernde Schwierigkeiten gibt.

Neben einer “Ursachenforschung” ist es meiner Meinung nach besonders wichtig, mit Vertretern der Schule ins Gespräch zu gehen. D. h. nicht nur mit dem Klassenlehrer.

Ich würde um eine Fallberatung mit dem Klassenlehrer, einem Vertreter der Schulleitung, dem Schulsozialarbeiter und einem Vertreter des sonderpädagogischen Dienstes (oder schulpsychologischen Dienstes) bitten. Diese Fallberatung sollte ohne das Kind stattfinden. Die Schule muss dann dafür sorgen, dass Maßnahmen zu den Schulproblemen festgelegt, eingehalten und durchgeführt werden. Es gibt noch sehr oft die Situation, dass die Schulen Schwierigkeiten mit der Inklusion und im Umgang mit Besonderheiten bei den Schüler*innen haben. Meiner Meinung nach ist es aber ebenso wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule mindestens auf einer soliden sachlichen Basis beruht. Gegenseitgie Vorwürfe o. Ä. bringen überhaupt nichts.

Was die “Ursachenforschung” betrifft, würde ich vorschlagen, die häusliche Situation und auch die Klassensituation (Freunde, Stressfaktoren) mal näher zu betrachten, ob es da Möglichkeiten gibt, in einzelnen Punkten Veränderungen herbeizuführen (Lernmöglichkeit im Kinderzimmer, Tagesablauf mit gemeinsamen Momenten).

Hinsichtlich “Druck aufbauen” vielleicht auch hier ein kleiner Tipp aus aktueller eigener Erfahrung: Kinder soll man nicht ständig unter Druck setzen, sie brauchen aber klare Weisungen im Tagesablauf, ohne dass man jeden Schritt vor dem Kind noch begründen muss. Zu oft möchten Kinder Anweisungen hinterfragen (Warum muss ich das jetzt machen? usw.). Das kostet viel Zeit und Kraft.

Dazu gehört auch, dass man Kindern nicht zu oft Entscheidungen abverlangen soll. Ein heranwachsendes Kind kann bestimmte Situationen nicht überblicken und ist dann damit überfordert. Ich habe nichts gegen möglichst viel Demokratie in der Familie, man kann es aber auch übertreiben. Als Eltern muss man seiner Rolle und Verantwortung bewusst sein.

Mit einem Schuss Gelassenheit letztendlich lassen sich viele schwierige Situationen besser meistern.

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.