Helikopter-Eltern – überfürsorglich oder verantwortungsbewusst?

Katharina Looks

Viele Eltern sind besorgt, möchten ihre Kinder vor allen Gefahren beschützen. Nicht immer ist das der beste Weg
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Sie begleiten ihre Kinder überall hin, mischen sich ein, wachen über Hausaufgaben und kreisen wie ein (Rettungs-)Hubschrauber über ihrem Nachwuchs – die Rede ist von Helikopter-Eltern. Über Ursachen, Folgen und Kritik.

Was machst du? Wo gehst du hin? Mit wem triffst du dich? Drei Viertel der Eltern von Minderjährigen möchten „immer ganz genau wissen, wo sich der Nachwuchs gerade aufhält und was er macht“ – das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Apothekenmagazins Baby und Familie.

Als orientierungslos und überehrgeizig bezeichnen Pädagogen und Psychologen einen Teil der heutigen Elterngeneration. Erst vor wenigen Wochen beschwerte sich Ralf Hermann, Rektor einer Stuttgarter Grundschule, in einem offenen Brief über Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen und den Ranzen bis ins Klassenzimmer tragen.

Als „Helikopter-Eltern“ werden diese fürsorglichen Mütter und Väter abwertend bezeichnet. Doch was ist falsch daran, sich für das Leben der eigenen Kinder zu interessieren und sie bestmöglich fördern zu wollen? Darüber diskutieren Blogger gerade in der Blogparade #helikopterich, die wir von der Online-Lernplattform scoyo gemeinsam mit Bloggerin Nicole Tschirner von schlaflose-muttis.de ins Leben gerufen haben.

Helikopter-Erziehung und die Folgen für Kinder

Die Metapher des Helikopters als Bild für überfürsorgliche Eltern wurde von der amerikanischen Psychologin Wendy Mogel geprägt. In ihrem Buch „The Blessings of a Skinned Knee: Using Jewish Teachings to Raise Self-Reliant Children“ (2001) widmet sie sich den Erziehungsproblemen in amerikanischen Mittelschichtfamilien.

Als Ursache vieler Konflikte sieht sie das sogenannte Overparenting: Die Kinder und ihre Launen stünden bei diesem Erziehungsstil im Zentrum. Mit ihren hohen Erwartungen setzten Helikopter-Eltern ihre Kinder unter Druck: Schulische Leistungen sowie künstlerische und sportliche Erfolge würden als Erfolg der eigenen Erziehungsarbeit verbucht. Dieser Erziehungsstil wirke sich langfristig negativ auf die kindliche Entwicklung aus, so Mogel. Die betroffenen Kinder neigten zu Unselbstständigkeit und Unsicherheit.

Vorsicht Gluckenfalle: Eltern regeln das schon …

Auch Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, warnt in seinem Buch „Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ (2013) eindringlich vor den Konsequenzen elterlicher Überfürsorge. Dabei betont Josef Kraus auch, dass die Mehrheit der Eltern vernünftig sei: „Nur“ etwa ein Sechstel der Eltern sei überambitioniert. Noch schlimmer jedoch seien die Eltern, die sich gar nicht kümmern (Interview Welt). Trotzdem warnt er vor der „Gluckenfalle“: Die Kinder verließen sich dann bei allem darauf, dass die Eltern es schon regeln.

Mit seiner Haltung steht der Pädagoge nicht alleine da. Viele Experten sehen die übermotivierte Erziehung kritisch: Kinder von Helikopter-Eltern seien verwöhnt, unreif, überlastet und in der Freizeit komplett verplant.

Zum Egoisten erzogen

Eine Redakteurin der Zeit wirft in ihrem Artikel „Me, myself and I“ Eltern und Kultusministern vor, Kinder zu Egoisten zu erziehen. Den Grund sieht sie darin, dass der Nachwuchs heute mit all seinen Wünschen und Gefühlen im Mittelpunkt stehe. Was ihm Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit verleihen soll, führe genau ins Gegenteil: in eine „massive Abhängigkeit“.

Erwachsen werden? Nein danke!

Fakt ist: Der Erziehungsstil der Eltern prägt Kinder bis ins Erwachsenenalter – auf ganz unterschiedliche Art und Weise. So möchten viele Kinder von Helikopter-Eltern ihr Elternhaus am liebsten gar nicht mehr verlassen oder kehren bei dem geringsten Widerstand ins wohlbehütete Nest zurück – ein Phänomen, das uns bisher eher aus südeuropäischen Ländern wie Italien oder Spanien bekannt war. Josef Kraus bestätigt diese Entwicklung in einem Interview auf elternratgeber.de: „Die Überbehütung durch die Eltern nimmt den Kindern den Wunsch und das Ziel, erwachsen zu werden. Wozu auch?“

Ursachen für das Helikopter-Phänomen

Gesellschaftliche Veränderungen der letzten Jahrzehnte

  • Einzelkind: Viele Paare bekommen heute nur noch ein Kind, auf das sie sich voll und ganz konzentrieren. Die Erwartungen sind deshalb sehr hoch, der Nachwuchs steht unter Druck. „Früher hatten Eltern 3 bis 4 Kinder, das eine war gut in Mathe, das andere gut in Deutsch, das dritte gut in Sport und das vierte war einfach hübsch. So hat sich alles etwas ausgeglichen“, so der Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Klaus Wenzel, auf dem 2. scoyo-Elternabend „Zwischen Nachhilfe und Förderwahn – wie Eltern ihre Kinder sinnvoll beim Lernen begleiten“.
  • Stadtflucht: Die Tatsache, dass immer mehr Familien in der Stadt leben, trägt ebenfalls zur Überbehütung bei. Während Kinder auf dem Land bis heute mehr Freiheiten genießen, sind Stadtkinder fast nie allein und unbeobachtet.
  • Ältere Eltern: Eltern der Mittelschicht sind heute auch durchschnittlich älter als noch vor ein paar Jahrzehnten und gehen wissenschaftlicher an die Erziehung ihres Nachwuchses heran. Sie wollen alles besser machen als ihre eigenen Eltern und für ihre Kinder das Optimum herausholen.

Die Angst vor der Zukunft

  • Der Leistungsdruck in der Gesellschaft verunsichert viele Eltern zunehmend: Um dem Nachwuchs einen möglichst guten Start auf dem Arbeitsmarkt und damit eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen, werden Kinder oft von klein auf gefördert. Es bleibt ihnen kaum noch Zeit, eigene Erfahrungen zu machen, auf die Nase zu fallen und wieder aufzustehen. Dazu Klaus Wenzel auf dem 2. scoyo-Elternabend: „Die Eltern beobachten ganz genau die Arbeitslosenstatistik und erkennen, dass ein hoher Schulabschluss die Wahrscheinlichkeit minimiert, dass die Kinder später unter Dauerarbeitslosigkeit leiden.“
  • Auch die bildungspolitischen Diskussionen und das nur durchschnittliche Abschneiden deutscher Schüler in den zahlreichen internationalen Vergleichsstudien wie Pisa tragen zur Verunsicherung der Eltern bei: Viele haben ihr Vertrauen in das deutsche Schulsystem verloren und bemühen sich, ihre Kinder im außerschulischen Bereich bestmöglich zu fördern.

Alles Quatsch? Kinder waren nie sicherer

Laut Josef Kraus hatten wir nie zuvor eine Generation von Kindern, „die so sicher, behütet und in einem solchen Wohlstand aufgewachsen ist. Es besteht also kein Grund zur Panik.“ Er gibt vor allem Organisationen wie der OECD die Schuld dafür, dass Eltern das Gefühl haben, mehr und mehr fördern zu müssen: „Deren Tenor ist: ‚Dein Kind hat im globalen Haifischbecken nur eine Chance, wenn es Abitur hat. Alles Idiotie“, so Kraus im Interview mit der WELT.

Hier ist eine lawinenartige Panikmache im Gang

Auch auf dem 2. scoyo-Elternabend haben unsere Experten über die Ursachen des Förderwahns diskutiert. Bildungsunternehmerin Béa Beste sieht den Grund vor allem im gegenseitigen Verrücktmachen. Das beginne schon auf dem Spielplatz, wenn Eltern darüber sprechen, was das Kind eigentlich schon alles kann. „Ich glaube hier ist eine gegenseitige lawinenartige Panikmache im Gang.“ Das bestätigt auch Bloggerin Nicole Tschirner von schlaflose-muttis.de: „Das Problem ist, dass wir uns ständig vergleichen. Wir schauen immer, was unser Nebenmann macht, ohne zu gucken, wie es unserem Kind dabei geht.“

Förderwahn: Die Beziehung zwischen Eltern und Lehrern leidet

Neben den negativen Folgen für die kindliche Entwicklung beklagt Josef Kraus vor allem die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule: Schlechte Noten empfänden viele Eltern als eigene Misserfolge, und gegen die werde notfalls auch bei der Schulaufsicht Beschwerde eingelegt. Lehrer würden unter Druck gesetzt und gäben im Zweifelsfall nach. Kraus fordert in einem Interview auf wiwo.de mehr Vertrauen in die eigenen Kinder und weniger Kontrolle: „Natürlich sind mir Eltern, die sich kümmern, lieber als Eltern, denen alles egal ist. Aber Erziehung bedeutet auch, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Loszulassen, wenn es sinnvoll ist, und den Kindern etwas Eigenes zuzutrauen. Vom Schulweg bis zu den Hausaufgaben.“

Gleichzeitig prangert Kraus im Interview mit der WELT die Behauptung von Hirnforscher Gerald Hüther an, dass jedes Kind hochbegabt sei – viele Eltern machten dann die Lehrer dafür verantwortlich, dass jene die Begabung ihres Kindes nicht entdeckten, und gingen andere Wege, ihre Kinder zu pushen. Frühförderung ist hier ein großes Thema (interessanter Beiträge dazu: welt.de).

Es ist nicht unsere Aufgabe, eure Kinder zu erziehen

Bloggerin und Lehrerin Nicht die Mama appelliert an die Eltern und stellt klar, dass es nicht die Aufgabe der Lehrer ist, Kinder zu erziehen: „Wir als Lehrer haben in erster Linie einen Bildungsauftrag. Eltern zu Hause einen Erziehungsauftrag. Beides gehört unweigerlich zusammen. Daher sollte es oberste Priorität haben, dass Eltern und Schule zusammen und nicht gegeneinander arbeiten.“ In ihrem Beitrag zur Blogparade #helikopterich gibt sie Eltern viele Tipps, wie das gelingen kann.

Liebe Eltern, macht euch mal locker

Dieses Thema wird aktuell auch im Film “Frau Müller muss weg” aufgegriffen, der ab dem 15.01.2015 im Kino zu sehen ist. Es geht um eine Gruppe besorgter Eltern, die die Klassenlehrerin Frau Müller weghaben will. Denn: Das Schuljahresende steht vor der Tür, die Noten sind schlecht und alle Eltern wollen ihre Kinder auf dem Gymnasium sehen. Doch Frau Müller spielt nicht mit.

Dazu haben wir ein schönes Interview mit Darstellerin Anke Engelke und Regisseur Sönke Wortmann auf Magazin Schule gefunden: Darin macht Wortmann seine Haltung deutlich und fordert: “Liebe Eltern, macht euch mal locker.” Es müsse doch gar nicht das Gymnasium sein. 

Und was sagen die Eltern selbst?

Uns bleibt nichts anderes übrig. Ich bin ein Helikopter-Papa!

Bei aller Kritik gibt es auch viele, die auf der Seite der Helikopter-Eltern stehen. Journalist Christian Füller merkt an, dass Eltern angesichts der aktuellen Bildungsmisere gar nichts anderes übrig bleibe, als sich aktiv in den Schulalltag ihrer Kinder einzumischen und auf private Förderprogramme zu setzen. „Welche Eltern können sich denn heute noch auf einen Job verlassen, der 30 oder 40 Jahre hält? Dieser Gedanke spielt immer die Hintergrundmusik“, so der Familienvater, der auch auf dem 2. scoyo-Elternabend als Experte dabei war. „Wir sehen in der Mittelschicht eine hohe Nervosität darüber, was Schule mit unseren Kindern macht.“ Er bekennt sich ganz offen dazu, ein Helikopter-Papa zu sein.

Auch Béa Beste fragt sich als Mutter oft, was bestimmte Lehrer eigentlich mit unseren Kindern machen. Sie kritisiert, dass viele von ihnen auf den Defizitblick geschult werden, anstatt zunächst auf die Stärken der Schüler zu schauen. „Wenn ein Elternteil dann zum Elternabend geht, und es heißt: ‚Ihre Tochter hat Probleme mit der Rechtschreibung, das könnte auf ein Defizit hindeuten‘, ja, dann stehe ich als Mutter da und denke: Oh Gott!“, erzählte die Gründerin von tollabox auf dem 2. scoyo-Elternabend.

Hört auf, die Eltern zu kritisieren!

Die Journalistin Inge Kloepfler zweifelt sogar am Zusammenhang zwischen dem Erziehungsstil und dem kindlichen Verhalten und sieht in dem sogenannten „Eltern-Bashing“, also der öffentlichen Kritik an Eltern, vor allem ein gutes Geschäft. Die ständigen Warnungen vor falscher Erziehung verunsichere die heutige Eltern-Generation nur noch mehr und lasse sie in die weit ausgebreiteten Arme selbsternannter „Experten“ laufen: „Denn nur verunsicherte Eltern bevölkern mit ihren Kindern die Praxen von Psychologen, kaufen einen Ratgeber nach dem anderen, rennen in teure Elternkurse, in denen sie im Erziehen erzogen werden.“ (faz.net)

Sind wir nicht alle irgendwie Helikopter-Eltern?

Auch die Blogger-Welt hat langsam genug von der vielen Eltern-Kritik: Bloggerin mama-notes fordert in ihrem Beitrag zur Blogparade #helikopterich: „Kann das bitte jeder so machen, wie er mag?“ Und Bloggerin Nina von philinsmom fragt: „Gedanken um unsere Kinder machen wir uns trotzdem alle. Macht uns das nicht alle irgendwie zu Helikopter-Eltern?“ Séverine von Mama on the rocks setzt auf seichte Frühförderung und gibt zu: „Ich möchte keinen Druck ausüben. Aber Theorie und Praxis sind so eine Sache.”

Helikopter-Eltern: überengagiert aber glücklich

Eins scheinen Helikopter-Eltern zu sein: glücklicher als andere Eltern. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie von Forschern aus den Niederlanden und Kanada. Für Helikopter-Eltern seien ihre Kinder der Sinn des Lebens, und diese Kinderzentriertheit führe bei ihnen zu einer hohen allgemeinen Zufriedenheit (spiegel-online.de).

Und das Fazit? Ein bisschen mehr Gelassenheit und Vertrauen täte vielen Eltern sicherlich gut; ein bisschen mehr Autorität und weniger Kontrolle wären gut für viele Kinder. „Wichtig ist, dass wir unsere Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen lassen“, so Daniel Bialecki, Geschäftsführer von scoyo. „Wir als Eltern sollten sie bestmöglich begleiten, ihnen klare Regeln und Rückhalt geben und, ja, sie auch fördern – aber vor allem in dem, woran sie Interesse haben.“

Bialecki sieht in der inneren Motivation den Schlüssel zum Erfolg: „Wenn unsere Kleinen sich auf das konzentrieren dürften, was sie gut können, und wir ihnen beibringen, mit ihren Schwächen besser umzugehen, käme der (Schul-) Erfolg von ganz allein. Vertrauen spielt hier eine ganz große Rolle. Darauf, dass unser Nachwuchs mit Hilfe von Lehrern und Eltern seine “Schwächen” schon auf ein Level bringen wird, das eben gut genug ist. Und darauf, dass er seine Stärken erkennt und einzusetzen lernt. Deshalb haben wir scoyo entwickelt. Die Online-Lernplattform bietet Kindern die Möglichkeit, selbstbestimmt die wichtigsten Fächer der 1. bis 7. Klasse zu lernen. Eltern können in einem separaten Elternbereich die Fortschritte und Kompetenzen nachvollziehen, ohne ständig neben dem Kind zu sitzen und es zu kontrollieren.“

Zwei Zitate von Bildungsexperten sind unserer Meinung nach hier sehr passend:

„Die Vorstellung von perfekten Eltern ist absurd. Die besten Eltern sind diejenigen, die Verantwortung für ihre Fehler übernehmen.“ Jesper Juul

„Das Kind kommt nicht auf die Welt, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen.“ Remo Largo

Ob Sie sich zu viel oder zu wenig in das Leben Ihres Nachwuchses einmischen und zu welchem Erziehungstyp Sie gehören, können Sie hier grob testen.

Machen Sie noch bis zum 16.01. mit bei unserer Blogparade #helikopterich und verraten Sie uns Ihre Einstellung zum Thema. Mehr Infos auf schlaflose-muttis.de.

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.